Gesamtzahl der Seitenaufrufe

Dienstag, 23. November 2010

"Kinder wurden liebevoll betreut" - die Tiroler Tageszeitung veröffentlichte einen "Leserbrief"

Der folgende Link funktioniert leider nicht mehr - den Text von "Berta Brandacher" hatte ich glücklicherweise archiviert:

http://www.tt.com/csp/cms/sites/tt/Meinung/1682705-39/kinder-wurden-liebevoll-betreut.csp


Kinder wurden liebevoll betreut Thema: Bubenburg in Fügen.


Nach den Vorwürfen betreffend die Bubenburg Fügen fühle ich mich gedrängt, das viele Gute, was in diesem Haus geleistet wurde, ein klein bisschen in den Vordergrund zu stellen. Ich war von 1957–1966 als Büroangestellte in der Bubenburg tätig. Auch in diese Zeit fallen die Vorwürfe der ehemaligen Zöglinge. In neun Jahren kriegt man großteils mit, was im Haus läuft, und ich habe nichts erlebt und gesehen, das nicht in Ordnung gewesen wäre. Ich habe die Kinder im Hof laufen, schreien, spielen, sich austoben und lachen gesehen wie andere Kinder im Dorf auch. Darum schmerzt es mich aufrichtig, dass so viel Schlechtes in die Öffentlichkeit getragen wird.Die Ordensschwestern haben ihre ganze Kraft und Liebe in die Betreuung der Kinder gesteckt. Wenn Fehler gemacht wurden, dann ist das auch menschlich. Es sind 95 Prozent, die für das Gute stehen, das die Kinder erleben und erfahren durften. Außerdem steht außer Zweifel, dass die ersten drei Lebensjahre eines Kindes im Elternhaus geprägt werden, dessen Verfehlungen nicht den späteren Betreuern angelastet werden können.

Berta Brandacher 6262 Schlitters
Hier mein Antwortschreiben an die "Frau Brandacher";

Liebe Frau Brandacher!
Ihr Leserbrief in der Tiroler Tageszeitung vom Mittwoch vergangener Woche machte mich beinahe sprachlos, denn Ihre Wahrnehmung der Vorgänge in der Bubenburg weicht von meinen und den Erlebnissen zahlreicher Jahrgangs- und Gruppenkollegen in dieser Erziehungsanstalt auf eine Art und Weise ab, dass man glauben möchte, man wäre im falschen Film gewesen.
Als Büroangestellte in der Bubenburg war es Ihnen, wie Sie schreiben, möglich, während Ihrer Arbeitszeit beim Fenster hinaus zu schauen. In kirchlichen Einrichtungen, vor allem in Ihrer aktiven Zeit, waren Leistungsdruck und Arbeitsleid sicherlich noch nicht so stark ausgeprägt wie heutzutage. Dennoch sei mir die Feststellung erlaubt, dass Sie wohl nicht den ganzen langen Tag beim Fenster hinaus geschaut und Ihre Aufmerksamkeit ausschließlich den spielenden Kindern gewidmet haben.
Irgendwer, eben Büroangestellte wie Sie, musste wohl den Inhalt für die zahlreichen Heimakten produzieren. Jene Heimakten, die trotz liebevoller Betreuung und sorgsamster Archivierung eines ganzen Jahrganges (1962/1963) verlustig gingen, wie auf der Homepage der Bubenburg vermerkt ist. Daneben war, davon gehe ich aus, umfangreiche Korrespondenz mit Jugendwohlfahrtsträgern wegen der Unterbringungskosten zu erledigen, Sankt-Fidelis-Blätter samt Zahlscheinen mussten verschickt und Spendengelder verbucht werden. In diesen Phasen erhöhten Arbeitsaufkommens dürfte wohl so manches Ihrer geschätzten Aufmerksamkeit entgangen sein. Keinerlei Wahrnehmungen machten Sie zudem an Werktagen von 8.00 bis 13.00 Uhr, denn da waren die Kinder in der Schule bzw. anschließend beim Mittagessen.
An den Nachmittagen zwischen 14.00 und 17.00 Uhr waren die Kinder entweder beim Fußballspiel am Fügener Sportplatz oder im Paterwald, hatten Musikprobe oder Luftgewehrschießen mit Pater Magnus, bastelten Krippen, Stricklieslschnüre für die Ordenstrachten der Pater und Nonnen mit Schwester Benjamina oder hatten im Rahmen der Lernstunde ihre Hausaufgaben für den nächsten Tag zu erledigen. Anschließend daran, liebe Frau Brandacher, hatten Sie dann wohl Feierabend im Rahmen Ihrer damals üblichen 45-Stunden Woche. An Samstagen und Sonntagen dürfte Ihr Bürofenster zum Hof wohl auch nicht durchgängig besetzt gewesen sein. Einzig Ihre Ausführung, Sie hätten nichts erlebt und gesehen, was nicht in Ordnung gewesen wäre, erscheint mir nachvollziehbar. Wie denn auch? In Schulklassen hatten Sie ebenso wenig Einblick wie in die Speisesäle, Gruppenräume, Bastelzimmer, Musikzimmer und Schlafsäle. Dort passierten die Dinge, die Sie nicht hören, sehen und denken konnten oder wollten. Dinge, die zwischenzeitlich von zahlreichen ehemaligen Zöglingen berichtet, von ehemaligen Erziehern zugegeben und sogar von der Geschäftsführung des SLW öffentlich als glaubwürdig eingestanden wurden. Einige Fakten sind mittlerweile sogar zum Gegenstand kriminalpolizeilicher und staatsanwaltschaftlicher Ermittlungen geworden. Zu Ihrer Verteidigung sei festgestellt, dass ordensinterne Nachforschungen hinsichtlich der Übergriffe von Pater Magnus und Schwester Benjamina erst nach Ihrer Zeit und auf Initiative eines Ordensbruders erfolgten. Eines Ordensbruders, der später „freiwillig“ an einen Ort fern von Fügen versetzt wurde.
Der Absatz in Ihrem Leserbrief über die ersten drei Lebensjahre eines Kindes decken sich wiederum sehr genau mit Aussagen von Pater Direktor Magnus Kerner und auch der Schwester Benjamina, an die ich mich noch sehr gut erinnern kann. „Eure Eltern, so ihr überhaupt welche habt, haben versagt und sind nicht in der Lage, anständige Menschen aus euch zu machen.“ So klang das oft, bevor man uns, stellvertretend für unsere Eltern wahrscheinlich, Unterhosen in den Mund steckte, uns mit dem Teppichklopfer versohlte, uns mit Füssen trat und mit Fäusten schlug oder uns die Ohren blutig zwickte. Aber das haben Sie ja weder gehört noch gesehen, von Ihrem Logenplatz aus.
Was ich Ihnen damit sagen will ist folgendes: Sie haben nichts, gar nichts und schon überhaupt nichts mitbekommen. Wenn ich es mir so recht überlege, empfinde ich Ihre Ausführungen als derart unglaubwürdig, dass sich alles in mir sträubt, zu glauben, Sie selbst hätten diesen Leserbrief geschrieben oder gar in die Tastatur Ihres „MacBook Air“ getippt und sodann auf elektronischem Wege der Tiroler Tageszeitung übermittelt. Allenfalls könnte ich mir vorstellen, dass Sie Ihre Unterschrift in gutem Glauben auf ein vorgefertigtes Manuskript geleistet haben. Dies ist Ihnen nicht vorzuwerfen. Einige Buben dienten in den vergangen Ausgaben des St.-Fidelis-Blattes ebenfalls als „Testimonials“ für die Bubenburg und schilderten, ohne dass auch nur einer von Ihnen selbst zum Bleistift gegriffen hätte, wieviel Gutes sie dort erfahren konnten. In einer Ausgabe des Jahres 2009 schildert etwa Toni‘, einer meiner Klassenkameraden, dass er in der Bubenburg Ende der 1970er Jahre die Bubenburg-Hauptschule absolvierte. Wahr ist vielmehr, dass Toni gemeinsam mit mir und anderen Kollegen 1976 die Bubenburg mit einem Zeugnis der St. Konrad SonderErziehungsschule, einer 8klassigen Voksschule,  verlassen hat.
Schade um die schöne Druckerfarbe. Wieviel Wahrheit hätte man damit verbreiten können. Nicht wahr, Frau Berta Brandacher?
Aus Ihren Zeilen spricht eher die Wahrnehmung einer Person, die mit den Gepflogenheiten und Abläufen in der Bubenburg jener finsteren Zeit absolut nicht vertraut war. Man könnte glauben, ein ebenso gut meinender wie schlecht treffender Gehaltsempfänger des Seraphischen Liebeswerkes habe sich an dieser ‚Fleissaufgabe‘ ebenso emsig wie dilettantisch versucht.
Nicht auszudenken allerdings, wäre der vorliegende „Leserbrief“ auf Büropapier von ‚Hofherr Communications‘, einer auch vom SLW vielbeschäftigten PR-Agentur, verfasst. Sonderlich wundern würde mich das mittlerweile auch nicht mehr.
Herzlichst
Ihr Erwin Aschenwald
(echt und unverfälscht)

Nachtrag zu Pater Magnus:

Johannes Georg Kerner war der bürgerliche Name des Kapuzinermönchs
Pater Magnus Kerner ofm.cap.,
auch bekannt als der "Pater Direktor" der Bubenburg zu Fügen. Unvergessen ist seine Prahlerei mit seinen Weltkriegs-Orden, die er uns gerne im Religionsunterricht vorzeigte.
"Im Kriege hatte ich Hundert Mann unter mir!", pflegte er dabei oft zu sagen.
"Muss ja nicht jeder, der einen Nazi-Orden hat, auch ein Nazi gewesen sein", sagt die Naivität.
"Widerstandskämpfer besitzen üblicherweise keinen Schuhkarton voller Nazi-Orden", sagt der Hausverstand.

geboren am 04.11.1915 in Ulm,
verstorben am 11.03.1990, sofern sein Grabstein in Fügen/Zillertal nicht auch lügt ...

Einer Recherche im deutschen Bundesarchiv bzw. im NS-Archiv in Berlin steht nunmehr nichts mehr im Wege. Geburtsort und -datum lassen sich gewiss auch anhand der Unterlagen für die Verleihung des Sozial-Verdienst-Kreuzes durch die Stadt Innsbruck im Jahr 1982 überprüfen.
Alles ist möglich; nur soviel sei vorweg genommen: Selig-oder gar Heiligsprechung wird das wohl keine mehr.
Rest in Pieces, Magnus!